Nach einem Suizidversuch
Über die Gefahr weiterer Suizidversuche
Der Suizidversuch eines Angehörigen ist für alle eine neue Situation. Erleichterung, dass der Betroffene noch lebt, aber auch die Angst vor einem weiteren Versuch. In dieser Zeit ist wichtig, Sicherheit zu schaffen und Raum zu geben. Wir zeigen wie es funktionieren kann.
Ein Suizidversuch markiert einen tiefen Einschnitt im Familienleben. Eltern, Geschwister und Freunde erleben dabei ganz unterschiedliche Gefühle: Angst, Schuld, aber auch Erleichterung. Fast immer besteht Unsicherheit, wie es weitergehen kann. Gerade in den Wochen nach einem Suizidversuch ist das Risiko für weitere Versuche besonders hoch. Jetzt gilt es, Halt und Sicherheit zu vermitteln. Prävention bedeutet in dieser Phase nicht nur professionelle Hilfe, sondern auch Beziehung, Verlässlichkeit und Verständnis.
Professionelle Hilfe ist unbedingt notwendig! Wenn der Betroffene noch nicht in Behandlung ist, ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür. Selbst die beste Betreuung von Familie und Freunde kann professionelle Hilfe nicht ersetzen.
Die erste Zeit nach dem Suizidversuch
Sicherheit entsteht durch Struktur und verlässliche Begleitung.
In den ersten Tagen und Wochen nach einem Suizidversuch steht Stabilisierung im Vordergrund. Betroffene befinden sich oft in einem labilen Zustand, sind körperlich und psychisch erschöpft. In dieser Phase kann es helfen, den Alltag ruhig, vorhersehbar und überschaubar zu gestalten. Versuchen Sie, Routinen zu schaffen: feste Schlaf- und Essenszeiten, geregelte Abläufe, keine abrupten Veränderungen. Vorhersehbarkeit reduziert Stress und gibt ein Gefühl von Sicherheit zurück.
Halten Sie den Kontakt aufrecht, ohne Druck auszuüben. Offene Fragen wie „Wie geht es dir heute?“ oder „Was brauchst du im Moment?“ helfen mehr als Appelle oder Erklärungsversuche. Man muss nicht über alles sprechen. Wichtig ist, dass die betroffene Person weiß, dass ein Gespräch jederzeit möglich ist. Schweigen ist in Ordnung, solange es nicht zu Rückzug oder Isolation führt.
Achten Sie darauf, dass medizinische und psychologische Nachsorge konsequent wahrgenommen wird. Sie können unterstützen, indem Sie Termine koordinieren, Medikamente verwalten oder Begleitung zu Gesprächen anbieten – respektieren Sie dabei aber auch die Eigenverantwortung der betroffenen Person.
Digitale Medien und soziale Kontakte können in dieser Phase sowohl stabilisierend als auch überfordernd wirken. Begleiten Sie aufmerksam und sensibel, statt zu kontrollieren. Ziel ist, einen sicheren Rahmen zu schaffen, ohne in Isolation zu führen.
Drei Grundsätze können Orientierung geben: Präsenz, Ruhe und Klarheit. Präsenz bedeutet, verfügbar zu sein. Ruhe heißt, Überreaktionen zu vermeiden. Klarheit steht für nachvollziehbare Regeln und Strukturen.
Familie und Vertrauen wieder aufbauen
Ein Suizidversuch verändert auch die familiäre Dynamik. Eltern verlieren oft das Vertrauen in ihre Wahrnehmung oder machen sich Vorwürfe, nichts bemerkt zu haben. Geschwister fühlen sich womöglich übersehen, während Betroffene Druck spüren, sich schnell „zu bessern“. Ziel ist allerdings nicht, alles wieder „wie früher“ zu machen, sondern einen neuen, bewussteren Umgang miteinander zu finden. Dazu gehört auch, das Familienleben neu zu ordnen und gleichzeitig Sicherheit zu geben.
Menschen nach einem Suizidversuch kämpfen häufig mit Scham und Selbstabwertung. Sie brauchen ein Umfeld, das diese Gefühle aushält, ohne vorschnell Lösungen anzubieten. Zuhören und Verständnis sind jetzt wichtiger als Ratschläge. Vertrauen wächst durch kleine Alltagszeichen, offene Gespräche und familiäre Routinen, etwa gemeinsames Essen, Musik hören oder Spazierengehen.
Betroffene schwanken häufig zwischen zwei Bedürfnissen: Autonomie und Geborgenheit. Eltern können helfen, indem sie beide respektieren.
Zusammenarbeit mit Fachkräften
Prävention geht über die Familie hinaus. Ärztinnen, Therapeuten, Schule und Angehörige sollten eng zusammenarbeiten. Eltern sind Teil des therapeutischen Prozesses: sie können ihre Beobachtungen teilen, aber auch Grenzen setzen, wenn sie selbst überfordert sind. Familiengespräche im Rahmen einer Therapie fördern gegenseitiges Verständnis und beugen Missverständnissen über Ursachen oder Verantwortlichkeiten vor.
Professionelle Hilfe sollte nicht als Bedrohung wahrgenommen werden, sondern als gemeinsames Sicherheitsnetz.
Warnsignale für Rückfälle erkennen
Suizidalität ist kein einmaliges Ereignis, sondern ein wiederkehrendes Risiko. Depressive Phasen treten oft in Wellen auf und können zurückkehren. Das Umfeld sollte daher auf subtile Veränderungen achten: Rückzug, Schlafstörungen, plötzliche Ruhe oder das Verschenken persönlicher Dinge sind mögliche Warnzeichen. Wichtig ist, diese Signale ernst zu nehmen, ohne zu dramatisieren.
Auch Alkohol und Drogen können das Risiko erhöhen. Abstinenz und gegebenenfalls regelmäßige Kontrolle sind sinnvoll. Ebenso kann das eigenmächtige Absetzen von Medikamenten gefährlich sein. Achten Sie daher auf eine verlässliche und korrekte Einnahme ärztlich verordneter Medikamente.
Wenn Sie Veränderungen bemerken, sprechen Sie diese ruhig, offen und ohne Vorwurf an.
Wie Freunde und Kolleginnen unterstützen können
Nach einem Suizidversuch ist Isolation einer der größten Risikofaktoren für einen Rückfall. Familie, Freunde und Kolleginnen können entscheidend zu einem funktionierenden sozialen Netz beitragen. Sie müssen keine Expertinnen sein, es reicht, präsent zu sein. Es gilt etwas Normalität im Alltag zu vermitteln: gemeinsam lachen, spazieren gehen, reden oder auch schweigen.
Freunde können helfen, indem sie Suizidgedanken nicht tabuisieren. Fragen wie „Wie geht es dir wirklich?“ oder „Was hilft dir, wenn es wieder schwer wird?“ zeigen Interesse, ohne Druck aufzubauen. Wichtig ist, dass Unterstützung keine ständige Überwachung wird. Vertrauen bedeutet, dem anderen zuzutrauen, Verantwortung zu übernehmen – mit der Zusicherung, dass Hilfe jederzeit verfügbar ist.
Auch Arbeits- und Schulumfelder sollten sensibel reagieren. Eine offene, unterstützende Haltung von Kolleginnen, Kollegen oder Mitschülern kann Sicherheit vermitteln. Mitleid ist nicht angebracht, wichtiger ist echtes Verständnis ohne Stigmatisierung.
Freunde und Kollegen müssen keine Therapeut sein. Was zählt, ist Verlässlichkeit.