Mobbing in der Schule

Wie Mobbing entsteht und was getan werden kann

Kind leidet unter Mobbing in der Schule

Mobbing ist ein komplexes Gruppenphänomen. Es gibt nicht eine einzelne Ursachen, die man bekämpfen könnte. Vielmehr ist es ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren, doch wer die Mechanismen erkennt, kann gezielt eingreifen.

Lesedauer 7 Min.
Psychische Belastungen
Thema: Schule
Dieser Fachartikel wurde von einem Experten geprüft.
Letzte Aktualisierung:

Mobbing entsteht dort, wo Ausgrenzung, Angst und Macht den schulischen Alltag prägen. Leider bleibt es häufig lange unentdeckt, weil Betroffene schweigen und das Umfeld wegschaut. Dabei ist Mobbing eine massive Belastung und sollte konsequent bekämpft werden.

Was Mobbing ausmacht

Mobbing ist kein Streit – es ist ein System

Mobbing unterscheidet sich deutlich von einem gewöhnlichen Konflikt. Streitigkeiten sind in der Regel wechselseitig und auf ein bestimmtes Ziel oder Problem ausgerichtet. Mobbing basiert jedoch auf Wiederholung und verfolgt kein konkretes Ziel. Betroffene werden über längere Zeit systematisch ausgegrenzt, beleidigt oder lächerlich gemacht. Das Opfer verliert mit der Zeit die Möglichkeit, sich zu wehren, weil das Umfeld nicht mehr reagiert. Das Schweigen der Gruppe wirkt wie eine Zustimmung, die Täter gewinnen immer mehr Macht.

In dieser „sozialen Spirale“ wird das Opfer durch die Gruppe schrittweise entmachtet. Jede Wiederholung verstärkt die Rollen: Täter fühlen sich bestätigt, Zuschauer entlasten sich, und das Opfer verinnerlicht die Ausgrenzung. Solche Prozesse laufen häufig unbewusst ab. Sie enden erst, wenn eine Außenperson eingreift und das Muster durchbricht. Eine frühe Reaktion ist entscheidend, sonst wird Mobbing zur akzeptierten Normalität.

  • Wiederholung: dieselbe Person wird über längere Zeit attackiert.
  • Absicht: die Handlungen zielen auf Demütigung oder Ausschluss.
  • Machtungleichgewicht: das Opfer ist isoliert und ohne soziale Rückendeckung.

Es ist entscheidend, Mobbing klar zu benennen. Wer normale Konflikte und systematisches Mobbing verwechselt, übersieht schnell Opfer und Täter. Lehrkräfte sollten nicht fragen, „wer angefangen hat“, sondern erkennen, ob ein Machtgefälle besteht. Erst dadurch wird deutlich, dass Mobbing kein persönlicher Streit ist.

Mobbing endet nur, wenn das System gebrochen wird.

Strukturelle Ursachen von Mobbing

Mobbing findet häufig im Rahmen des Schulbetriebs statt, etwa im Klassenverband oder auf dem Schulhof. Doch was sind die Ursachen und was können Schulen dagegen tun?

Wichtig ist zunächst das Schulklima: Mobbing entsteht, wenn Regeln nicht konsequent durchgesetzt werden und Verantwortung nicht klar verteilt ist. Auch gemeinsame Werte spielen eine Rolle. Wird Fairness und Respekt wirklich gelebt? Sind Grenzen klar und werden sie von allen eingehalten? Wenn solche Orientierungspunkte fehlen, entsteht ein Klima, in dem Machtspiele und soziale Ausgrenzung leicht entstehen. Mobbing ist in diesem Sinne kein individuelles Fehlverhalten, sondern das Ergebnis struktureller Bedingungen im Schulbetrieb.

Mobbing findet in einem sozialen System mit Hierarchie und Machtgefälle statt. Dieses System ist komplex und wird durch alle Beteiligten aufrechterhalten: Täter, Mitläufer und Zuschauer tragen – bewusst oder unbewusst – dazu bei. Es kann daher nur gemeinsam aufgelöst werden.

Mobbing ist kein „Fehler“ einzelner Kinder. Sinnvoller ist es, das System als Ganzes zu betrachten. Zunächst gilt es, die verschiedenen Rollen, Erwartungen und unausgesprochenen Regeln zu erkennen. Erst dann kann nachhaltige Veränderung erreicht werden.

Wo Kinder erleben, dass alle Verantwortung für das Miteinander übernehmen, hat Mobbing wenig Chancen.

Gruppenprozesse und Rollen

Eine Schulklasse ist ein soziales System mit unausgesprochenen Hierarchien, Loyalitäten und Regeln. In diesem System bilden sich Rollen, die das Verhalten bestimmen.

Typische Rollen sind etwa:

  • Initiatoren / Täter
  • Mitläufer
  • Zuschauer
  • Verteidiger
  • Betroffene / Opfer

Jede dieser Rollen trägt auf ihre eigene Weise zum Problem bei. Selbst passives Zuschauen ist Teil des Problems. 

Mobbing wird toleriert, weil sich niemand verantwortlich fühlt und viele glauben, es sei „nicht so schlimm“ oder „man könne es ohnehin nicht ändern“.

Die Rollen sind nicht starr. Ein Kind kann in einer Situation Täter und in einer anderen Beobachter sein. Mobbing hat daher kein einfaches Täter-Opfer-Schema, sondern ist ein dynamisches Beziehungsgeflecht.

Je nach Rolle können die Maßnahmen gegen Mobbing unterschiedlich aussehen. Sinnvoll ist es, präventiv an den Zuschauerrollen zu arbeiten. Wenn die Mehrheit der Klasse lernt, dass Schweigen Zustimmung bedeutet, wird das System instabil. Zivilcourage und Mitgefühl sind erlernbar, sie entstehen durch gelebte Praxis, nicht durch Appelle.

Reine Schuldzuweisungen können sogar kontraproduktiv sein. Wird etwa eine Gruppe Kinder als „Täter“ bezeichnet, kann dies in manchen Fällen deren Zusammenhalt noch stärken. Sinnvoller ist es, Verantwortung zu teilen und gemeinsam an der Klassengemeinschaft zu arbeiten. Nur wenn sich das Klima verändert, kann Mobbing dauerhaft gestoppt werden.

Individuelle Faktoren

Auch persönliche Faktoren spielen bei Mobbing eine Rolle. Neben dem bereits erwähnten schulischen Umfeld gibt es zwei wesentliche Bereiche: individuelle Verletzlichkeit und familiäre Einflüsse.

Je mehr Risikofaktoren zusammentreffen, desto wahrscheinlicher wird Mobbing. Ein Kind mit geringem Selbstwert in einer unklar geführten Klasse mit angespanntem Klima ist deutlich gefährdeter als in einer unterstützenden Umgebung.

Familiäre Verhaltensmuster werden häufig in der Schule fortgesetzt. Kinder lernen zu Hause, wie Beziehungen funktionieren, wie Konflikte gelöst, Fehler besprochen und Schwäche behandelt wird. Wer in der Familie erlebt, dass über Gefühle gesprochen und Unterschiede akzeptiert werden, zeigt in Gruppen mehr Empathie.

Die Faktoren, die zu Mobbing führen, lassen sich zusammenfassen:

  • Individuell: geringes Selbstwertgefühl, Unsicherheit, Andersartigkeit.
  • Institutionell: unklare Regeln, hoher Leistungsdruck, fehlende Aufsicht.
  • Familiär: Konflikte, Überforderung, Kommunikationsmangel.

Die Rolle der Schule

Prävention von Mobbing gelingt, wenn sie im Schulalltag verankert ist. Leitbilder, Fortbildungen für Lehrkräfte, Pausenaufsichten und eine offene Gesprächskultur sind nur einige Beispiele, wie Schulen dem Problem begegnen können. Sinnvoll ist auch eine verbindliche Interventionskette: Wenn ein Kind sich meldet, muss klar sein, wer zuhört, wer dokumentiert, wer informiert und wer begleitet. Ein transparentes Vorgehen signalisiert Verlässlichkeit und schafft Vertrauen.

Maßnahmen gegen Mobbing müssen im Alltag sichtbar werden.

Was kann das Opfer selbst tun?

Wer Opfer von Mobbing wird, fühlt sich oft hilflos und ohnmächtig. Doch das muss nicht so bleiben. Machen Sie sich klar: Es geht nicht darum, den Täter zu besiegen. Wichtiger ist es, Unterstützung zu finden und das eigene Selbstwertgefühl zu bewahren. Aktivieren Sie Hilfsangebote und scheuen Sie sich nicht, das Thema offen mit der Schule zu besprechen. Verlieren Sie dabei nicht den Mut: Es mag eine Weile dauern, bis sich die Situation verbessert – aber Sie sind nicht allein!

Versuchen Sie, soziale Netzwerke auch außerhalb der Schule zu stärken. Freundschaften, Gruppenaktivitäten oder außerschulische Interessen können Halt geben. Ihre Persönlichkeit ist nicht ausschließlich durch den Schulalltag definiert. Versuchen Sie, außerhalb der Schule Energie und Selbstvertrauen zu tanken.

Das Opfer trägt keine Schuld. Mut zeigt sich nicht im Gegenschlag, sondern im Dranbleiben.

Niemand kann Mobbing allein beenden. Hilfe anzunehmen ist keine Schwäche, sondern Ausdruck von Selbstachtung. Ein Netzwerk aus Mitschülern, Erwachsenen und professionellen Unterstützern ist der sicherste Weg, Kontrolle und Selbstvertrauen zurückzugewinnen.

  • Reden Sie mit jemandem, dem Sie vertraue. Beispielsweise einer Lehrkraft, Eltern oder Freunden. Schweigen schützt nur die Täter.
  • Führen Sie ein Tagebuch über alle Vorfälle. Notieren Sie Datum, Ort, Beteiligte und was passiert ist. Das hilft, den Überblick zu behalten und Beweise zu sichern.
  • Suchen Sie gezielt Menschen, die Sie stärken. Bleiben Sie in Kontakt mit Freunden außerhalb der Schule.
  • Setzen Sie klare Grenzen in Worten und Verhalten. Bleiben Sie dabei ruhig.
  • Tun Sie sich regelmäßig etwas Gutes.

Was können Eltern tun?

Eltern sind oft die Ersten, die Veränderungen im Verhalten ihres Kindes bemerken: Rückzug, Gereiztheit oder körperliche Beschwerden ohne klare Ursache. Solche Signale sollten ernst genommen und nicht als „Phase“ abgetan werden. Es gilt: zuhören, Ruhe bewahren und Sicherheit vermitteln. Das Kind braucht keine Vorwürfe oder vorschnellen Aktionen, sondern Vertrauen: „Du bist nicht schuld, und du bist nicht allein.

Gespräche mit den Eltern der Täter oder öffentliche Konfrontationen führen häufig zu weiterer Eskalation. Sinnvoller ist es, die Schule einzubeziehen, Vorfälle zu dokumentieren und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Wichtig ist, dass Betroffene spüren, nicht allein zu sein und dass gemeinsam an konkreten Plänen gearbeitet wird.

Eltern sollten:

  • Ruhig zuhören und das Anliegen ernst nehmen.
  • Keine Schuldzuweisungen, sondern gemeinsame Lösungen suchen.
  • Schule, Umfeld und professionelle Beratung aktiv einbeziehen.
  • Vorfälle dokumentieren und regelmäßig Rückmeldung geben.
  • Ein offenes Familienklima schaffen, in dem über Gefühle gesprochen werden kann.

Kinder brauchen das Gefühl, dass Erwachsene verlässlich an ihrer Seite stehen.

Redaktionelle Bearbeitung: Benjamin Slezak
Erste Veröffentlichung: