Schönheit in der Suchtbehandlung Warum es wichtig ist, sich auf das Schöne im Leben zu konzentrieren

Dr. Michael Musalek
Prim. Univ. Prof. Dr.
Michael
Musalek
Institutsvorstand und Ärztlicher Direktor im Anton Proksch Institut Wien
Das Mögliche möglich machen

Ist die Behandlung einer Alkoholabhängigkeit nicht mühsam und langwierig, also alles andere als schön? Nur zum Teil. Zugegeben, der Weg aus einer Sucht gestaltet sich in der Regel nicht ausgesprochen schön. Allerdings kann ein wenig Sinn für das Schöne die Therapie einfacher und die Prognose günstiger machen. Ein wichtiges Ziel bei der Behandlung muss daher sein, die Sonnenseiten des Lebens wieder in den Vordergrund zu rücken.

Für viele ist Schönheit ein sehr individueller Begriff – wir wissen, was wir mit "Schönheit" meinen, verstehen aber dennoch alle etwas anderes darunter. Jeder empfindet andere Dinge als schön, wir haben unseren eigenen Geschmack und unsere eigenen Vorlieben. Ob das nun Radfahren, ein gutes Essen oder ein abendlicher Spaziergang sein mag, ist für eine erfolgreiche Therapie gar nicht so wichtig. Was wirklich zählt, ist etwas zu finden, das man für sich persönlich als schön wahrnimmt.

Schönheit bedeutet für jeden etwas anderes.

Nun fällt es nicht immer leicht, das persönlich "Schöne" zu finden. Womöglich kennt man es noch gar nicht. Vielleicht fehlen die Mittel oder die Möglichkeiten dazu. Im Rahmen der Therapie sollte daher versucht werden, diese schönen Momente und Erlebnisse zu suchen, ja zu erlernen. Für viele Suchtkranke war das Einnehmen des Suchtmittels zuweilen auch ein schöner Teil ihres Lebens, damit aufzuhören hinterlässt ein Loch im Alltag, welches nun wieder gefüllt werden muss.

Ein Beispiel:

Denken Sie an all die schönen Dinge in Ihrem Leben. Nun stellen Sie sich vor, Sie müssten auf das 5. Schönste davon verzichten. Könnten Sie das? Wäre es eine große Herausforderung? Sie dürften es nie wieder machen. Keine einmaligen Ausnahmen, niemals wieder. Vermutlich ist das für Sie keine sehr schöne Vorstellung.

Was aber, wenn Sie nur auf das 50. Schönste in Ihrem Leben verzichten müssten? Ja, das wäre doch durchaus realistischer, damit könnte man gut leben.

Sie sehen, eine erfolgreiche Suchtbehandlung hat viel mit den schönen Seiten des Lebens zu tun. Man muss sie nur finden und sie auch genießen können.

Genießen

Apropos genießen. Schönheit ist das eine, Genuss etwas anderes. Sich an etwas Schönem zu erfreuen, es genießen zu können und daraus Kraft zu schöpfen ist gar nicht so einfach. Sie kennen das womöglich von einem guten Essen, für das man kaum Zeit gefunden hat oder der Urlaub, an dem man den Kopf einfach nicht freibekommen hat.

Während der Therapie wird auch gelernt, richtig genießen zu können. So etwas kann man lernen? Ja, kann man. Vermutlich haben Sie es bisher ganz unbewusst, intuitiv gemacht, aber Genuss benötigt einige Voraussetzungen:

  • Nehmen Sie sich Zeit, hastig genießen ist nicht möglich.
  • Genuss muss erlaubt sein, wenn man dafür erst ein Verbot brechen muss, fühlt es sich schon nicht mehr so gut an.
  • Genuss braucht Aufmerksamkeit, nebenbei funktioniert es nicht.
  • Jeder ist anders und über Geschmack lässt sich nicht streiten.
  • Weniger ist mehr. Zu viel von etwas übersättigt und lässt keinen Raum für Genuss.
  • Genuss braucht Erfahrung. Wissen Sie, was Ihre persönlichen Genussmomente sind?
  • Genuss ist Teil des Alltags. Es sind die kleinen Freuden des Alltags die das Leben erst genussvoll machen.

Haben Sie sich in manchen Punkten wiedererkannt? Niedergeschrieben wirken diese 7 Grundlagen des Genusses ein wenig plump. Allerdings sind sie auch nicht zum auswendig lernen gedacht. Genuss lernt man nicht durch studieren, sondern durch erleben.

Therapieziele

Körperliche Gesundheit ist nur ein Ziel von vielen

Gemeinhin wird körperliche Gesundheit als primäres Therapieziel angesehen. Man geht zum Arzt, um gesund zu werden. Man lässt sich behandeln, um eine Erkrankung zu überwinden. Tatsächlich sind die subjektiven Therapieziele häufig andere. Nur etwa 11% nennen somatische Gesundheit bzw. Abstinenz als persönliches Ziel. Subjektiv wichtiger sind etwa Autonomie und ein selbstständiges Leben (39%), eine funktionierende Beziehung / Familienleben (27%) oder ein gesundes "Selbst" (23%).

Diese Zahlen machen deutlich, dass es bei der Therapie um mehr als nur Symptombehandlung, Entzugserscheinungen und Suchtdruck geht. Der Weg aus der Sucht führt immer über persönliche Ziele und diese haben viel mit einem lebenswerten, zufriedenen Leben zu tun.

Die Praxis

Doch wie sieht das nun in der Praxis aus? Nicht jeder Betroffene hat die selben Möglichkeiten und die individuellen Interessen können stark unterschiedlich sein. Zum Glück findet sich immer etwas, das als schön empfunden werden kann. "Das Mögliche möglich machen" lautet die Devise. Ziel ist es, die schönen Aspekte des Lebens herauszuarbeiten, erkennbar zu machen und schließlich genießen zu können. Manchmal sind das ganz kleine Dinge. Sie eröffnen den Betroffenen neue Perspektiven und helfen, sich ein Leben ohne Alkohol als lohnendes Ziel vorstellen zu können.

Viele Betroffene haben es verlernt, Glückgefühle zu erleben. Stattdessen erleben sie ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Trostlosigkeit. Mit einer Reihe an Trainings- und Übungsprogrammen kann effektiv geholfen werden.

Dies kann etwa im Rahmen des "Orpheus" Programms am Anton Proksch Institut stattfinden. Durch die Teilnahme an verschiedenen Modulen werden die eigenen Lebenskräfte wiederentdeckt und das Suchtverhalten zurückgedrängt. So stehen den Teilnehmern des "Orpheus" Programms etwa Naturerfahrungs-Module, Kreativitätskurse, eine Kino-Therapie, Körperwahrnehmungsübungen und vieles mehr zur Verfügung.

Michael Musalek, Jahrgang 1955 studierte Medizin an der Universität Wien und ist Facharzt für Psychiatrie und Neurologie sowie Psychotherapeut. 

Seit 2004 ist Prim. Univ. Prof. Dr. Musalek als Institutsvorstand und Ärztlicher Direktor im Anton Proksch Institut Wien tätig.

Redaktionelle Bearbeitung: Benjamin Slezak
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